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Bernhard Weber

Zwei Beispiele für Verbreitungsmöglichkeiten von Musik und Tänzen - innerhalb von sehr langen und sehr kurzen geschichtlichen Zeiträumen

Weber, Bernhard: "Zwei Beispiele für Verbreitungsmöglichkeiten von Musik und Tänzen innerhalb von sehr langen und sehr kurzen geschichtlichen Zeiträumen", 14th International Congress on Dance Research, Aridaia, Greece, 13-17/9, 2000.

1. Die Verbreitung von Musik innerhalb eines kurzen Zeitraumes, oder Eine seltsame musikalische Verbindung zwischen Kerkyra und dem deutschsprachigen Mitteleuropa

Es ist in Fachkreisen allgemein bekannt, daß eine verblüffende Koinzidenz zwischen Tanzliedern von Kerkyra und Musikstücken im deutschen Sprachraum zu Beginn dieses Jahrhunderts besteht. Vielen, die im deutschen Sprachraum aufgewachsen sind, ist ein Trinklied sehr geläufig, das mit der fröhlichen Zeile beginnt: "Wir versaufen unserer Oma ihr klein’ Häuschen"; oder - in einer moderneren Textversion: "Unsere Oma fährt im Hühnerstall Motorrad". Außerdem ist noch heute im Raum Berlin ein bestimmtes Tanzlied vom Beginn dieses Jahrhunderts sehr populär, das meist als Polka gespielt wird und den fröhlichen Titel trägt: “Im Grünewald ist Holzauktion”.

Wenn dann der deutschsprachige Mitteleuropäer zum ersten Mal mit Musik von Kerkyra konfrontiert wird, ist die Verblüffung außerordentlich groß, die beiden gegenständlichen Melodien so gut wie unverändert als Tanzlieder auf Kerkyra wiederzufinden. In beiden Fällen handelt es sich übrigends um Rouga (Syrtos Kerkyras oder Kerkyraikos) bzw. Syrtos.

Die übliche, aber falsche Verhaltensweise, das zuerst Gelernte auch für das zuerst Existierende zu halten, muß erst überwunden werden, bevor die Problemstellung objektiviert und auf drei Fragen reduziert werden kann:

1. In welcher Richtung sind die Musikstücke gewandert?

2. Auf welchem Wege?

3. Wann?

Als nächste Ausgangsbasis ergeben sich die Fragen:

- Welche kulturellen Verbindungen gab es zwischen Kerkyra und Mitteleuropa?

- Welche Informationsträger waren einflußreich genug um Breitenwirkung zu erzielen?

Wenn man in Wien lebt, denkt man zuerst an Kaiserin Elisabeth. "Sisi" erfreut sich auch heute noch ungeheurer Popularität und daß sie mehrmals auf Kerkyra war und dort eine eigene Villa (Das "Achilleon") besaß, ist in Wien allgemein bekannt. Das Studium von Biographien, auch der Tagebücher ihres griechischen Vorlesers, bringen zwar eine Fülle von Informationen, aber keinerlei Hinweise auf irgendeinen Musikaustausch - in welcher Richtung auch immer. Sisi fiel im September 1898 in Genf einem Attentat zum Opfer. Das Achilleon ging testamentarisch an Kaiser Franz Josef, wurde aber im Frühjahr 1907 von Kaiser Wilhelm II von Deutschland erworben. Wilhelm II war auch ein großer Freund von Kerkyra und war als sehr extrovertierter Mensch auf seinen Reisen stets von einem großen Hofstaat umgeben.

Zu jener Zeit war das gemeinsame Singen von Volksliedern auch im deutschen Sprachraum noch eine Selbstverständlickeit. So gehörte die Gründung einer Liedertafel stets zu den ersten Aktivitäten einer neugegründeten deutschen Handelsniederlassung in Griechenland. Nun wäre es denkbar, daß einige Angehörige der Dienerschaft oder der Leibgarde von Wilhelm II an einem ihrer freien Tage in Tavernen von Kerkyra saßen und dort zu fortgeschrittener Stunde deutsche Trinklieder und Operettenschlager gesungen haben. Einige dieser Melodien könnten von Korfioten aufgenommen worden sein und später ein Bestandteil der korfiotischen Musiktradition werden. Etwa vergleichbar mit der "Fourlana", die ja eindeutig venetianischen Ursprungs ist. Für diese Arbeitshypothese ließen sich aber keinerlei weder schlüssige Beweise finden.

Kaiser Wilhelm II hatte während seiner Zeit auf Kekyra ein umfangreiches Tagebuch geführt, das später - literarisch etwas aufgearbeitet - im Druck erschien. Das Studium dieses Tagebuches birgt auf Seite 77 eine Überraschung:

"Ein anderer Gast, der voll in dem Genusse des Aufenthaltes und in der Stimmung des alten Griechentums aufging, war der General-Intendant der Kgl. Schauspiele, Graf von Hülsen-Häseler... Oftmals wanderte er mit mir durch die Gärten und Terrassen,   ...bis er eines Tages mir erklärte, diese wunderbare Schönheit müsse auch den Berlinern wenigstens im Bilde vorgeführt werden. Hieraus entwickelte sich nach und nach der Plan zu dem Stück “Kerkyra”, in welchem natürlich auch der Tanz der Korfiotinnen Aufnahme fand, nachdem der Graf ihn mehrfach beobachtet und studiert hatte. Hierbei leistete Prinzessin Viktoria Luise ihm wertvolle Dienste, da sie ein großes Geschick und schnelle Auffassungsgabe für Rhythmus, Takt und Melodie besitzt und den an und für sich schwierigen Tanz schnell gemeistert hatte. So wuchs das Werk im stillen, bis es in Vollendung - besonders mit dem von Prof. Dörpfeld rekonstruierten Tempel und einer herrlichen Panorama-Wanddekoration - dem Berliner Publikum dargeboten werden konnte. Die Kaiserin und ich verfehlten nie, wenn irgend möglich, der Vorstellung beizuwohnen". (Auslassungen vom Verfasser)

Mit dieser Information kann die Frage, in welcher Richtung die gegenständlichen Musikstücke gewandert sind, als positiv erledigt betrachtet werden.

2. Zwei Varianten desselben Vorganges und der Versuch beide miteinander zu vereinbaren.

Daß zwischen Tänzen und mythologischer Überlieferung viele Querverbindungen existieren ist allgemein bekannt. Daß Navigation als Hilfsmittel nützlich sein kann ist schon weniger geläufig. Im konkreten Fall geht es um die Theseus - Sage und um die Frage, welche Route Theseus am Weg von Kreta nach Piräus eingeschlagen hat. Für die Tanzforschung ist diese Frage von einiger Wichtigkeit, da eine große Anzahl von Tänzen auf den Sagenzyklus um Theseus bezogen werden. Es soll der Versuch unternommen werden, zwei verschieden Vorgänge zu vergleichen, indem die beiden verschiedenen Überlieferungen möglist wörtlich genommen werden. Diese Verfahren ist zwar nur als Arbeitshypothese brauchbar und mit hohem Risiko verbunden, aber schließlich wurde mit dieser Methodik Troja gefunden.

Zur Rekapitulation:

Theseus ging nach Kreta um die Athener Geiseln zu befreien; zu diesem Zweck mußte er das Labyrinth des Minos aufsuchen, dort den Minotaurus töten und wieder heraus finden. Ariadne, die Tochter von König Minos hatte einen magischen Fadenknäuel um sich im Labyrinth zurechtfinden zu können. Nachdem sie sich in Theseus verliebt hatte übergab sie ihm diesen Knäuel und unterwies Theseus in der Handhabung. Theseus fand so den Minotaurus und überraschte ihn im Schlaf. Nachdem der Minotaurus getötet war, fand Theseus mit Hilfe des Fadens aus dem Labyrinth wieder heraus, und konnte samt Ariadne und den Geißeln auf einem Schiff flüchten. Man kam nach DIA, dort ließ Theseus -aus nicht überliefertem Grund- Ariadne allein zurück und fuhr weiter.

1. Variante: Die Reise ging nach Delos, wo er mit den befreiten Geißeln den (aus Kreta stammenden) "Ajeranos" tanzte. Von Delos aus fand der Ajeranos weite Verbreitung und wird (z.B. auf Paros) noch heute getanzt. Anschließend fuhr Theseus - den Kykladen folgend - nach Piräus.

2. Variante: Die Reise ging der Küstenlinie Kretas folgend nach Westens und vorbei an Kythira zur Tsakonia. Dort legte man eine Pause ein zeigte den Einheimischen durch eine symbolischen Tanz wie man den Weg aus dem Labyrinth gegangen wäre. Das Ergebnis war der - noch heute bekannte - “Tsakonikos”.

Nun ist es nicht gut möglich, daß Theseus beim Rückweg nach Athen beide Wege eingeschlagen hat. Die “offizielle” Fassung beharrt auf der Reiseroute Iraklion - Naxos - Piräus. Diese “Naxos-Version” wird sowohl im Schulunterricht als auch im allgemeinen Bewußtsein beibehalten, obwohl sie einer kritischen Überprüfung keineswegs standhält. Wenn man in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts als Reisender die Ägäis auf einem großen Fährschiff durchquert, vergißt man allzuleicht, daß diese Reise in früheren Zeiten alles andere als gefahrlos war. Auf einem 10m-Segelboot, oder einem Kaiki bekommt man bei einem Meltemi mit 8 Beaufort, bedecktem Himmel und 3m hohen Wellen schon eher einen Begriff von den Schwierigkeiten einer Seereise in der Ägäis. Nun verändern sich die metereologischen und maritimen Gegebenheiten nicht innnerhalb von geschichtlichen Zeiträumen.

Wenn man also bedenkt, daß zur Zeit von Theseus die Seefahrer auf hoher See sich nur nach der Sonne und nach den Sternen richten konnten, ist es verständlich, daß man sich in früherer Zeit stets bemühte auf Sicht zu fahren und sowohl Nachtfahrten als auch Fahrten über das offene Meer vermied (z. B. Homer beschreibt diese Tatsache sehr eingehend, wenn auch als etwas ganz geläufiges). Noch heute ist bei Seglern, die keine erfahrenen Naviagtoren sind (Satellitennavigation ist erst seit einigen Jahren finanziell erschwinglich) die "West-Route" die beliebteste Verbindung zwischen Piräus und Kreta. Der Verfasser hat persönlich Auskünfte von fünf verschiedenen Seglern bzw. Schiffseignern eingeholt (Zwei Griechen, ein Deutscher, ein Österreicher und ein Brite), die ünabhängig von einander völlig identische Routenbeschrteibungen abgegeben haben:

Von Piräus aus wird der Saronischer Golf überquert, man folgt dem Küstenverlauf der Peloponnes bis zur Südspitz der Mani und fährt zur Südspitze von Kythira. Dort wird der Kurs S-O eingeschlagen und nach kurzer Zeit taucht am Horizont Antikythira auf. Der Kurs wird beibehalten und nach einiger Zeit dient eine markante Klippe als nächster Wegweiser. Wenn bei der Weiterfahrt diese Klippe außer Sichtweite gekommen ist, dauert es nicht mehr lange, bis Kreta am Horizont erscheint (bei ruhiger See und mäßigem Wind etwa 20 Minuten). Nachdem Antikythira etwa auf der Hälfte des Weges zwischen Kythira und Kreta liegt, ist der größte Teil der Fahrt mit Sichtkontakt zu bewältigen. Im Gegensatz dazu wurde die Direktroute in Richtung Kykladen (nach Norden) peinlichst vermieden, weil ein erheblicher Teil der Fahrt ohne Sichtkontakt zu bewältigen gewesen wäre. Der übliche Weg nach Naxos wäre der Umweg über Kassos, Karpathos u.s.w. gewesen.

Dazu kommt noch, daß kein Grund ersichtlich ist, warum ausgerechnet das antike Naxos das antike “Dia” sein soll. Es gab im Altertum in der Ägäis fünf verschiedene Inseln mit den Namen “Dia”. Davon kommen aus geographischen Gründen drei Inseln in Frage: Eine kleine Insel vor Amorgos, ferner Naxos und außerdem jene Insel nördlich von Iraklion, die noch heute den Namen “Dia” trägt. Nun erwähnen die alten Berichte, daß die Insel, auf der Ariadne zurückgelassen worden war “Öd und leer und kahl” war. Naxos war zur damaligen Zeit wesentlich dichter besiedelt und die Vegetation viel üppiger als heute. Die Attribute “Öd und leer und kahl” sind also auf Naxos nicht zutreffend und waren es auch früher nicht; allerdings paßt die Beschreibung sehr genau auf die Insel “Dia” vor Iraklion.

Demnach wäre Ariadne nicht auf Naxos zurückgelassen worden, sondern auf der Insel Dia vor Iraklion. Hier käme auch ein naheliegendes Motiv in Betracht warum Ariadne abgesetzt wurde: Theseus konnte erwarten, daß die Kreter sein Schiff angreifen würden. Um Ariadne nicht dem Risiko von Kampfhandlungen auszusetzen, wurde sie von Theseus auf Dia versteckt, um sie später abzuholen. Möglicherweise wurde das Schiff des Theseus aber abgedrängt und hatte keine Gelegenheit mehr nach Dia zurückzukehren um Ariadne abzuholen. Nachdem Theseus nach Athen zurückgekehrt war, könnte er zu einem, späteren Zeitpunkt nach Delos gefahren sein, um im Apollotempel ein Dankopfer darzubringen. Bei dieser Gelegenheit hätte er auch den Ajeranos auf Delos tanzen können.

Abschließend soll darauf hingewiesen werden, daß dier Frage, ob diese Hypothese einer objektiven Überprüfung standhält oder nicht, für die Geschichtsforschung relevant ist, aber nicht unbedingt für die Laographie. Wenn die Bevölkerung vor Ort für die Herkunft eines Tanzes eine tradierte Erklärung hat, kann diese Erklärung aus verschiedensten Quellen stammen. Sie kann z.B. im vorigen Jahrhundert von europäischen Philhellenen aufgebracht worden sein; es ist aber nicht auszuschließen, daß die tradierten Erklärungen tatsächlich auf die mythologische Überlieferung zurückgehen.

Für die Laographie ist aber ein psychologischer Gedankengang relevant: Die Menschen kolportieren oft das was sie gerne hören, weil es ihnen deutlich sagt, was sie fühlen.

Benutzte Literatur

Kaiser Wilhelm II: Erinnerungen an Korfu. Berlin, 1924.

Corti, Egon Caesar Conte: Elisabeth. Salzburg, 1934.

Graves, Robert: The Greek muths. London, 1960.

Bernhard Weber

 

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