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Klaus Kramer

Tanzdidaktik - Beispiel "Kindertanz"

Kramer, Klaus: “Tanzdidaktik - Beispiel "Kindertanz"“, 17th World Dance Congress for Dance Research, Naxos 22-26/10/2003. Athens, IOFA, 2003.

Schon der Begriff «Kindertanz» fordert zum Nachdenken heraus. Gibt es eine eigene Tanzgattung, die diesen Namen verdient? Zweifellos gibt es speziell fuer Kinder besonders geeignete, fuer sie aufbereitete oder eigens komponierte Taenze. Rechtfertigt das aber schon, von Kindertanz zu sprechen wie man von Volkstanz, Ballett etc. spricht? Es ist sicher korrekter, von «Tanzen mit Kindern» zu sprechen.

Unberuehrt von solchem Definitionsstreit bleibt jedoch allgemein anerkannt, dass Kinder tanzen koennen und nach dem Willen vieler namhafter Paedagogen auch tanzen sollen. Schon von den Initiatoren der modernen Leibeserziehung wurde der Tanz als wichtiger Bestandteil in den Kanon der Leibesuebungen aufgenommen (vgl. Kramer 1977) – allerdings mit der Einschraenkung, dass die Taenze speziell aufbereitet werden muessen, damit sie ihre erotisierende Wirkung verlieren: «So lange Knabe und Maegdchen von dem Inhalte noch nichts ahnden, ist die moralische Seite der Taenze unschaedlich und rein nicht nur, sondern auch empfehlungswuerdig, da sie eine Artigkeit im Betragen befoerdern, welche der Jugend recht gut ansteht …» (GutsMuths 1793, S. 369 f.). Und bis heute werden tanzbegeisterte Paedagogen nicht muede, das Tanzen als unverzichtbares Erziehungsmedium zu preisen (vgl. Artus 1985, Fritsch 1988, Juergens 1982, Kramer-Lauff 1978, Lander/Zohner 1997, van Doorn-Last 1985).

Die kindgemaesse Weise der Begegnung mit Musik und Bewegung im Tanz duerfte mit der Jugendbewegung (1901 wurde der «Wandervogel» gegruendet), mit der Kunsterziehungsbewegung (C. Goetze, Das Kind als Kuenstler, 1898) sowie mit der Reformpaedagogik in den 1920er Jahren eingeleitet worden sein. Diese «Paedagogik vom Kinde aus» hat speziell fuer Kinder geschaffene Taenze initiiert: von Erwachsenen fuer Kinder – gewoehnlich zum Zwecke der Erziehung, auch der Tanzerziehung – komponierte Taenze. Die etwa gleichzeitig verlaufende Tanz- und Gymnastikbewegung hat zweifellos ihren Teil dazu beigetragen, dass Kinder und Jugendliche als «Tanzsubjekte» entdeckt wurden. Das Nachdenken ueber eine eigene Tanzerziehung setzte ein.

Tanzerziehung

Man kann Erziehung als zielgerichtete Beeinflussung von (meistens) Heranwachsenden bezeichnen. Auch «Tanzerziehung» muss sich folgerichtig auf bestimmte Ziele ausrichten. Und hier, so scheint es, gilt es, Klarheit zu schaffen.

Die Ziele

Denn das Spektrum reicht von Kreativitaetsfoerderung bis zu Ich-Findung, von Meditation bis zum Karnevalstanz, von Koerperbildung bis zur Improvisation, von Integration unterschiedlicher Ethnien in die Gastgesellschaft bis zur Foerderung der Gruppenidentitaet oder Tanz soll die Musikerziehung unterstuetzen, soll therapeutisch wirken und vieles mehr.

Klarheit und Systematik in der Zielsetzung einer Tanzerziehung scheinen gaenzlich zu fehlen. Es entsteht vielmehr der Eindruck eines, salopp ausgedrueckt, «paedagogischen Rundumschlags». Nach den Thesen vieler Autorinnen und Autoren zu Tanz und Erziehung ist Tanzen das Mittel schlechthin, an dem die Welt gesunden kann. Dabei ersetzen leider zu viele Autorinnen und Autoren nuechterne Argumentation durch ideologische Schwaermerei und uebersehen dabei eine entscheidende Tatsache,

dass mit Inhalten, die man als paedagogisches Mittel einsetzt, nur die Ergebnisse zu erreichen sind, die in der Sache begruendet sind. D. h. durch Tanzen lassen sich nur solche Erziehungsziele erreichen, die in den Grundgegebenheiten von Tanz und seinen ganz unterschiedlichen Erscheinungsformen vorgegeben sind.

Aber die Frage, wie junge Menschen, speziell Kinder durch Tanz und Tanzen beeinflusst werden koennen, wird kaum systematisch behandelt (vgl. Kramer-Lauff 1978). Es fehlt eine sach- und fachgerechte didaktische Analyse von Tanz.

Wenn wir unter «Didaktik» die «Kunst des Lehrens» verstehen wollen, muss eine didaktische Analyse folgende Fragen stellen (vgl. Jank/Meyer 1991, S. 16):

  • Warum und wozu soll Tanz gelehrt werden? (= Begruendung und Ziel)
  • Wer kann oder darf Tanz lehren? (= Lehrer – Schueler – Relation)
  • Wen sollen wir belehren bzw. wer soll Tanz lernen? (= Lernbedingungen der Lerngruppe)
  • Was soll gelehrt werden? (= Inhalte)
  • Wie und unter Einsatz welcher Mittel/Medien soll gelehrt werden? (= Methoden/Medien)
  • Wann und wo soll das Lehren und Lernen erfolgen? (= Zeit und Ort)
  • In welchem sozialen Kontext findet das Lehren und Lernen statt? (= Sozialerziehung)

An dieser Stelle lassen sich die Fragen nicht beantworten. Allein die Antwort auf die Frage nach dem Inhalt («Was soll gelehrt und gelernt werden?») weist auf die Tatsache hin, dass die Variationsbreite von Tanz enorm gross ist, ja dass schon die Definition von Tanz Schwierigkeiten genug bereitet und zu heftigsten Auseinandersetzungen fuehren kann. Hier bleibt deshalb nur uebrig, einige wenige Denkanstoesse zu geben.

Dabei gehe ich davon aus, dass es immer zentrales Ziel einer Tanzerziehung sein muss, Kinder zum Tanzen zu befaehigen – unabhaengig davon, was wir darueber hinaus durch Tanzen erzieherisch bewirken wollen. Weiterhin muss deutlich zwischen Sachzielen und Erziehungszielen unterschieden werden. Die Vermittlung einer bestimmten Technik im Tanz waere ein solches Sachziel, auch Improvisationsfaehigkeit gehoert in diese Kategorie, waehrend die Entwicklung von Gruppenfaehigkeit, gern auch als «Entwicklung sozialer Kompetenz» bezeichnet, zu den Erziehungszielen zu rechnen ist.

Um einen Orientierungspunkt zu fixieren, sei hier festgehalten, dass sich die folgenden Ausfuehrungen

  • auf das Tanzen von Kindern beziehen, also auf heranwachsende Menschen im Alter von etwa 3 bis 12 Jahren,
  • auf die aus der Sachanalyse abzuleitenden Ziele konzentrieren und
  • auf eine Skizze der Lernbedingungen der Adressaten beschraenken muessen.

Aus der Sachanalyse abgeleitete Ziele

Wie auch immer tanzen zu definieren ist, besteht sicher Einigkeit darueber, dass Tanzen vor allem Bewegungshandeln ist. Deshalb muss die Qualifizierung der Bewegungsfaehigkeit ein unverzichtbares Ziel sein. Sie ist gleichzeitig Voraussetzung fuer das Tanzen und Ziel einer Tanzerziehung. Dabei geht es zunaechst um die Qualifizierung in den Grundbewegungen, also im Gehen, Laufen, Huepfen und Federn, im Schwingen und Drehen u. ae. – das alles nach dem Motto: wer nicht stehen kann, kann auch nicht gehen, wer nicht gehen kann … usw. kann schliesslich auch nicht tanzen. Und – siehe oben – Tanzerziehung kann sich nur im Kontext von Tanz ereignen.

Unter dieser Praemisse seien deshalb im Sinne von Schlaglichtern wenigstens einige Teilziele detaillierter ausgefuehrt.

• Koordinationsfaehigkeit

Das «Zusammenwirken von Zentralnervensystem und Skelettmuskulatur innerhalb eines gezielten Bewegungsablaufes», wie Koordination definiert werden kann (Sportwiss. Lexikon 1992), wird im Tanz zum Selbstzweck. Die Koordination dient hier nicht dazu, einen Gegenstand, z. B. einen Ball zu bewegen oder moeglichst weit zu springen, sondern eine in Raum, Zeit und Dynamik (=Kraftverlauf) ausgewogene, haeufig durch Musik und Choreographie oder durch die eigene Darstellungsabsicht vorbestimmte Bewegungsgestalt zu verkoerpern. Die Steigerung der Koordinationsfaehigkeit im Tanz fordert haeufig scheinbar unsinnige, auf jeden Fall aber ungewoehnliche, weder in der Alltags- noch in der Sportbewegung anzutreffende Formen des «Zusammenwirkens» heraus. Um das zu belegen, muss man nicht unbedingt Isolationstechniken des Jazztanz oder Balletttechniken zitieren, es reicht schon, auf rhythmisierte Ausfuehrung von Nachstellschritten oder auf Seitkreuzschritte im Volkstanz zu verweisen.

Wenn Tanz sich zudem in Zusammenwirken mehrer Personen ereignet, wird als zusaetzliche Koordinationsleistung die Abstimmung der Selbstbewegung auf die Fremdbewegung gefordert, deutlich schon in technisch einfachen Gemeinschaftstaenzen zu beobachten.

Koordination im Tanz ist also nicht auf messbare Ergebnisse, etwa auf die Weite im Wurf und Sprung ausgerichtet, sondern auf etwas, das mit Stimmigkeit bezeichnet werden koennte. Sie muss stimmen im Hinblick auf die Darstellungsabsicht, aber (meistens) auch zur Bewegung von Partner und Gruppe passen.

Solche Stimmigkeit im Tanzen hat zur Voraussetzung und foerdert gleichzeitig die Entwicklung von

Koerperschema

Damit wird die Vorstellung vom eigenen Koerper und seinen Bewegungsmoeglichkeiten bezeichnet. Sie haengt entscheidend ab von der Bewegungserfahrung und dem Nachdenken ueber Koerper und Bewegung. Auf diesem Wege fuehrt Tanzen schliesslich zu

Koerper- und Bewegungsbewusstsein

Pointiert ausgedrueckt: nicht der Kopf, sondern der Ruecken muss wissen, was er tut. Erst das Koerper- und Bewegungsbewusstsein befaehigt den Taenzer zu

Bewegungsausdruck und Ausdrucksbewegung

Generell, so auch schon Freud, ist mit jeder Bewegung «ein psychisches Korrelat» verbunden, d. h. eine Bewegung erfuellt nicht nur eine bestimmte Funktion, z. B. eine Tasse zum Mund zu fuehren, sondern sie ist gleichzeitig Bedeutungstraeger, also Zeichen fuer die Befindlichkeit dessen, der sich da bewegt. Auf dieser Grunderkenntnis basiert die Ausdruckspsychologie. Im Tanz geht es nun immer auch darum, Tanzpartner und Zuschauer durch einen bestimmten Ausdruck zu beeindrucken. Wer tanzt, will durch seinen (Bewegungs-) Ausdruck bei anderen Eindruck machen. Damit entpuppt sich die

Bewegungskommunikation

als konstituierendes Merkmal von Tanz. Wenn im Zusammenhang mit Tanz die Kommunikation eroertert wird, bleibt viel zu oft unklar, dass die Bewegung als Kommunikationstraeger die tanzspezifische Besonderheit darstellt.

Das gesellige Miteinander im alltaeglichen Umgang, das Aushandeln von Haltungen und Formen sind Kommunikationsweisen, die auch in anderen Zusammenhaengen moeglich sind (in Arbeitsprozessen, beim Theaterbesuch u. ae.), die besondere Form der (weitgehend) sprachfreien Kommunikation ueber Bewegung im Tanz laesst sich nur hier erleben und dann auch schulen.

Weiterhin ergibt sich ganz allgemein aus dem Zusammenhang von Tanz und Musik eine entsprechende Hoererziehung und Gehoerbildung. Insbesondere werden die

rhythmischen Faehigkeiten

angesprochen und ausgebildet. Der Rhythmus als Bindeglied zwischen Musik und Bewegung ist ein viel behandeltes Thema, das hier nicht eigens dargestellt werden muss. Es sei jedoch auf den Unterschied zwischen dem Rhythmus in Sportbewegungen und im Tanz hingewiesen: in sportlichen Bewegungen ergibt sich der Rhythmus als funktionsgerechte Folge von Anspannung und Entspannung der Muskulatur aus dem Ziel der Bewegungshandlung, etwa einen Speer weit zu werfen. Im Tanz wird das Umsetzen von Rhythmen selbst zum Ziel des Bemuehens – sei es, dass man einen vorgegebenen Rhythmus nachvollzieht, sei es, dass man selbst durch die Bewegung Rhythmen erzeugt (z. B. Steptanz).

Damit sind wir bei Zielaspekten angelangt, die einerseits in den Gemeinsamkeiten von Sport und Tanz begruendet sind, andererseits aber darueber hinausweisen und als tanzspezifisch gelten koennen. Wenigstens kurz sollten ergaenzend dazu noch zwei Grundkategorien von Tanz angesprochen sein: Raum und Zeit.

Raum

Raum wird mit der Tanzbewegung gestaltet. Der Taenzer erlebt den Raum, er wird zum Kreis, zum Punkt, zur Linie, er stellt Raumspannungen her zwischen sich und den Partnern, ja er schafft durch seinen Tanz den Tanzraum als eigenen Ort des Geschehens, herausgehoben aus dem alltaeglichen Raum.

Abgesehen von solchen, fast ins Poetische reichenden Raumerfahrungen werden in der Auseinandersetzung mit Tanz und durch die Bewegung praktisch alle abstrakten Raumbegriffe (z. B. oben, unten, vorwaerts, rueckwaerts oder Kreis und Linie oder rund und eckig u. v. a. m.) im eigenen Tun erlebt, sie werden greifbare Realitaet.

Zeit

Die Einteilung musikalischer Ablaeufe in Rhythmus und Takt liefert in Verbindung mit der Bewegung und ihren raeumlich-dynamischen Qualitaeten ein ausgezeichnetes Mittel, Zeit auf Umwegen erfahrbar zu machen. Der Mensch hat keinen eigenen «Zeitsinn», kein Organ, mit dem er Zeit direkt wahrnehmen kann. Aber die geordnete Abfolge von Bewegungen, bei der die Musik die Ordnung stiftende Kraft ist, baut allmaehlich durch das Erleben von lang – kurz, langsam – schnell usw. Zeit als Erfahrungskategorie auf.

Selbstverstaendlich ist mit diesen Hinweisen der Katalog moeglicher und sinnvoller Ziele einer Tanzerziehung bei weitem nicht erschoepft. An den skizzierten Beispielen sollte nur deutlich werden, dass Ziele nicht einfach behauptet und unterschoben bzw. uebergestuelpt werden duerfen, sondern aus der Sache Tanz abgeleitet und begruendet werden muessen.

Aus der Adressatenanalyse abzuleitende Moeglichkeiten

Eine Tanzdidaktik hat, wie oben mit der Frage «Wen sollen (oder: wollen) wir belehren?» bereits angedeutet, die Lernbedingungen der Adressatengruppe zu beruecksichtigen. D. h. ebenso wichtig wie eine Klarheit in den Zielen ist fuer die Tanzerziehung eine Orientierung an den Moeglichkeiten der Adressaten, d. h. an den Entwicklungsdaten der Kinder. Was also koennen Kinder im Tanz koennen? Hier fragt sich, ob man ueberhaupt so pauschal von «Kindern» sprechen darf.

Kinder – das meint heranwachsende Menschen, die nicht mehr Saeugling oder Kleinkind sind, also von ca. 3 Jahren an bis zum Eintritt in die Pubertaet, bei Maedchen (von Fruehreifen abgesehen) ca. 11 – 12, bei Jungen 13 – 14 Jahre. Der UEbergang vom Kind zum Jugendlichen ist chronologisch nicht exakt festzulegen, weil er biologisch determiniert ist. Die Angaben stellen nur Annaeherungswerte dar.

Innerhalb des Zeitraumes von 3 – 12 Jahren – verglichen mit Prozessen nach dem 20. Lebensjahr – veraendern sich Kinder geradezu explosionsartig. Dabei werden Perioden, Phasen, Stufen oder Abschnitte beschrieben, die durch besondere Merkmale charakterisiert sind. Das gilt in besonderem Masse fuer die koerperliche und die Bewegungsentwicklung.

Diesem Faktum sind die Anforderungen in Inhalt und Methode anzupassen. Denn trotz zahlreicher und begruendeter Einwaende gegen eine vermeintlich oder tatsaechlich ueberholte Phasenlehre greift das Prinzip der Entwicklungsgemaessheit (auch als Altersgemaessheit oder Kindgemaessheit bezeichnet) nach wie vor.

Nun hat gerade die Bewegungsforschung in juengster Zeit gezeigt, dass ein weit verbreitetes Schonraum-Denken der kindlichen Entwicklung mehr schadet als nuetzt. Kindheit bzw. Kindsein wird viel zu haeufig, moeglicherweise dem Wunschdenken von Erwachsenen entsprechend, verniedlicht. Tatsaechlich koennen wir aber nur foerdern durch Fordern. Was koennen, duerfen, sollen oder muessen wir fordern, um Kinder altersgemaess zu foerdern?

Unter allem Vorbehalt sollen hier wenigstens einige Anhaltspunkte zur Bewegungsentwicklung und zum Anforderungsniveau umrissen werden. Ich beschraenke mich dabei auf die Darstellung der Entwicklung von Bewegungsmerkmalen, die fuer das Tanzen bedeutend sind:

  • Koordination allgemein
  • rhythmische Faehigkeiten
  • Bewegungskombination
  • Gleichgewichtsfaehigkeit

Unabhaengig von jeder Phasenlehre soll dabei eingeteilt werden nach den gesellschaftlichen bzw. schulischen Realitaeten in

  • Kindergarten- bzw. Vorschulalter = 3 – 6 Jahre,
  • Grundschulalter 6 – 7 Jahre bis ca. 10 Jahre,
  • UEbergangsalter 10 – 12 Jahre.

Das Vorschulalter

Dieser Lebensabschnitt ist gekennzeichnet durch

  1. Vervollkommnung der bis dahin erworbenen Bewegungsformen, u. a. Gehen, Laufen, Huepfen, Drehen,
  2. Erwerb erster Bewegungsverbindungen/-kombinationen (vgl. Meinel/Schnabel 1975, 219 ff.)

Die erste Zeit dient vorwiegend der Stabilisierung der Basisbewegungen, die Zeit nach dem 5. Lebensjahr deren Weiterentwicklung bis zu Bewegungsverbindungen. Das gilt fuer sog. ungeuebte Kinder. Bei angemessenem Lernangebot sind die Faehigkeiten leicht zu erweitern, ohne dass die Kinder psychisch oder physisch ueberfordert waeren. Unter dem Aspekt des Tanzens ist zu beachten, dass sich in dieser Zeit das Koerperschema zu entwickeln beginnt (abgeschlossen erst mit etwa 11 Jahren) und die Raumwahrnehmung von der taktil-kinaesthetischen Wahrnehmung (Anfassen, Partnerbezug, Nahraum) zur visuellen Wahrnehmung wechselt. «Sichere Beherrschung von raeumlichen Bezeichnungen und Raumbegriffen kann aber erst gegen Ende der Vorschulzeit und am Anfang der Schulzeit erwartet werden» (Dordel 1987, 126).

• Koordination allgemein

Die Koordinationsfaehigkeit ist zunaechst noch wenig entwickelt, nimmt aber ab dem 5. Lebensjahr auffaellig zu. Insgesamt bleiben die Koordinationsleistungen – vor allem bei Ungeuebten – auf niedrigem Niveau, wie sich immer dann zeigt, wenn es um Frequenzsteigerung und schnelle Reaktionen geht.

• Rhythmische Faehigkeiten

Die rhythmische Ansprechbarkeit ist generell gegeben. Durch entsprechende Lernangebote koennen gute Ergebnisse in der Zuordnung von Bewegungen zu Galopp-, Lauf- oder Huepfrhythmen erzielt werden. Aber Vogt (1978, S. 42 und 66 f.) hat nicht ohne Grund in ihre Hauptuntersuchung nur Gehen im 4/4-Takt und die Verbindung von Gehen und Klatschen aufgenommen, weil in der Voruntersuchung das Gehen im 3/4-Takt in einem Fiasko endete.

• Bewegungskombinationen

Sie sind, wie schon gesagt, in der 2. Haelfte des Zeitraumes ohne weiteres moeglich. Meinel/Schnabel nennen insbesondere Gehen und Laufen in Verbindung mit Prellen, Hochwerfen und Wiederfangen eines Balles oder – fuer das Tanzen interessanter – Gehen, Laufen, Huepfen im Wechsel (321).

• Gleichgewicht

Dorothee Guenther (1962, 27 f.) sieht im «Spiel mit dem Gleichgewicht» eine Wurzel des Tanzens, «im Tanz ist es sekuendlich gewonnenes Spiel». Die Gleichgewichtsfaehigkeit ist demnach eine Grundvoraussetzung fuer das Tanzen. Sie «ist zu Beginn der Altersstufe noch wenig ausgebildet, entwickelt sich dann aber auf ein hohes Niveau» (Vogt 1978, 114).

Insgesamt ist zu beachten, dass die Entwicklung – z. T. weit ueber das hier angedeutete Niveau hinaus – stark von Lerngelegenheiten abhaengt. Dass Tanzen in verschiedenen Auspraegungen ein massgebliches Lernangebot schon in diesem fruehen Alter sein kann, liegt auf der Hand.

Das Grundschulalter

Das Alter ist nach einer Phase der Stagnation, u. a. bedingt durch die radikale Lebensumstellung, die mit dem Schuleintritt verbunden ist, im weiteren Verlauf gekennzeichnet durch eine Auspraegung von Interessen schon ab dem 2. Schuljahr, durch Aufgeschlossenheit gegenueber sachlich begruendeten Anforderungen und durch schnelle Zunahme der motorischen Lernfaehigkeit. Hinzu kommt die auffaellig verstaerkte Differenzierung der Bewegungsformen, d. h. die Faehigkeit, sowohl aus Alltagsbewegungen zielgerichtete Bewegungstechniken zu entwickeln wie auch aus dem eigenen Bewegungsrepertoire aufgaben- und problemgerechte Bewegungen auszuwaehlen – wichtig fuer Reproduktion von Technik und Form sowie fuer Produktion und Improvisation.

• Koordination allgemein

In den koordinativen Faehigkeiten zeigen Grundschulkinder die hoechsten Zuwachsraten des gesamten Schulalters (Stemmler 82). Die Altersspanne von 7 Jahren an bis zum Eintrtt in die Pubertaet gilt in dieser Hinsicht als «sensitive» Phase, «d. h. als eine Zeit, in der entsprechende Reize durch besonders intensive Entwicklungseffekte beantwortet werden, die in spaeteren Jahren kaum noch nachzuholen sind» (Moeckelmann/Schmidt 1981, 102). Hoechste Zeit also fuer´s Tanzen!

• Rhythmische Faehigkeiten

Im 1. und 2. Schuljahr ist eine gegenueber dem Vorschulalter nur geringfuegig gesteigerte rhythmische Erfassungs- und Darstellungsfaehigkeit festzustellen. Geeignetes und realisierbares «Material» sind Gehen, Laufen, Huepfen, Hopsen, Nachstellschritte im Gehen und Laufen sowie UEbergaenge vom Gehen zum Laufen. Dabei stellt das Tempo noch immer eine Barriere dar. Gegen Ende des 2. und zu Beginn des 3. Schuljahres kuendigt sich eine enorme Qualitaetssteigerung an: die Rhythmisierungsfaehigkeit nimmt zu, die Schrittrhythmen werden variantenreicher, der Dreierrhythmus kann beherrscht werden. Schwingende Bewegungen bereichern das Repertoire ebenso wie die Moeglichkeit zu Crescendo- und Decrescendobewegungen.

• Bewegungskombinationen

Waehrend im 1. Schuljahr kaum Niveauveraenderungen erkennbar sind, ist bis zum 3. Schuljahr eine deutliche Qualitaetssteigerung eingetreten. Fliessende UEbergaenge von der Bodenarbeit zur Bewegung in Aufrichtung und umgekehrt werden moeglich. Grundformen pantomimischer Tanzversuche oder des sog. «elementaren Tanzes» sind angezeigt.

• Gleichgewicht

Das tw. extrem hohe Koennen in gleichgewichtsbestimmten Sportarten - wie z. B. im Turnen – zeigt an, dass die Entwicklung dieser Faehigkeit «im Trend» der anderen Parameter liegt. Vor allem ab dem 2. Schuljahr ist die Faehigkeit soweit entwickelt, dass sie unter dem Aspekt des altersentsprechend sinnvollen Tanzens keiner besonderen Schulung mehr bedarf. Sie schult sich mit dem Tanzen fast von selbst.

Das UEbergangsalter

Das Alter von ca. 9 Jahren bis zum Eintritt in die Pubertaet gilt als «das beste motorische Lernalter». Kinder lernen in dieser Zeit praktisch alle Bewegungen fast auf Anhieb. Es eruebrigt sich, auf einzelne Parameter einzugehen, da jetzt die Bedeutung der motorischen Faehigkeiten fuer die Tanzpraxis in den Hintergrund tritt. Viel bedeutsamer, ja fast ausschlaggebend werden jetzt endgueltig psychische und soziale Faktoren und damit auch Fragen des Unterrichtsklimas und des Unterrichtsstils, die hier bewusst ausgespart blieben.

Das ist keine Unterschaetzung der Thematik, sondern eher eine Anerkennung ihrer Bedeutung: sie kann nur in einem weiteren, diesen Rahmen allerdings sprengenden Ansatz eroertert werden.

Auffaellig ist, dass fuer alle Altersstufen festgestellt wird, dass durch angemessene Foerderung die hier genannten Durchschnittswerte weit uebertroffen werden koennen. Aus rein motorischer Sicht besteht also keine Veranlassung zu uebervorsichtiger Zurueckhaltung. Im Gegenteil: wir koennen die Kinder nur foerdern, wenn wir auch fordern. Und dass sich mit dem wachsenden Koennen die Freude am Tun fast von selbst steigert, ist eine altbekannte Paedagogenweisheit.

Literatur

Artus, H.-G. (Hrsg.)                                      Handeln in Gymnastik/Tanz, Bremen 1985

Dordel, Sigrid                                               Bewegungsfoerderung in der Schule, Dortmund 1987

Ernst, Heiko                                                  Keine Zeit mehr, Kind zu sein, in: psychologie heute, Dez. 82,         S. 20 ff.

Fritsch, Ursula                                             Tanz, Bewegungskultur, Gesllschaft, Frankfurt/M. Afra-Verlag           1988

Guenther, Dorothee                                    Der Tanz als Bewegungsphaenomen, Reinbek 1962

GutsMuths                                                    Gymnastik fuer die Jugend, Schnepfenthal 1793

Haselbach, Barbara                                   Tanzerziehung, Stuttgart 1971

Jank, Werner/Meyer, Hilbert                      Didaktische Modelle, Frankfurt/M. Cornelsen Scriptor 1991

Juergens, Irene                                                   Tanz in Schule und Gruppe, Baltmannsweiler Paed. Verlag     Burgbuecherei Schneider 1982

Kramer, Klaus                                              Tanz als Schulsportdisziplin – Verstaendnis und Einschaetzung,   Ztschr. «sportunterricht» 26 (1977) 73 ff.

Kramer-Lauff, Dietgard                              Tanzdidaktik, Schorndorf Verlag K. Hofmann 1978

Lander, H.-M./Zohner, M. R.                       Lehrerlebnis Tanz, Mainz Matthias Gruenewald Verlag 1997

Meinel, K./Schnabel, G.                              Bewegungslehre, Berlin 1976

Moeckelmann, H./Schmidt, D.                  Leibeserziehung und jugendliche Entwicklung, Schorndorf              1981

Roethig, P. u.a. (Hrsg.)                                       Sportwissenschaftliches Lexikon, Schorndorf Hofmann 19926

Stemmler, R.                                                        Entwicklungsschuebe in der koerperliche Leistungsfaehigkeit,               in: Wiss. ZS der DHfK Leipzig 1976, S. 81 – 92

Van Doorn-Last, Femke                                     Volkstanz lehren und lernen, Wolfenbuettel G. Kallmeyer          Verlag 1985

Vogt, Ursula                                                          Die Motorik 3 – 6jaehriger Kinder, Schorndorf 1978

 

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